Sich einfach mal zurückziehen und Zeit allein verbringen – in unserer lauten und hektischen Welt klingt das für viele verlockend. Gedanken an innere Einkehr und Ruhe tauchen auf. Doch Einsamkeit die nicht selbst gewählt ist, führt zu einer chronischen Stressbelastung. Durch den Anstieg des Cortisolspiegels entwickeln einsame Menschen oft Schlafprobleme, Energielosigkeit, Grübelzwang, Lustlosigkeit, erhöhte Reizbarkeit, depressive Verstimmung und vieles mehr.
Einsamkeit ein Teufelskreis
Da Einsamkeit die Selbstregulationsfähigkeit schwächt, wird es für Betroffenen zunehmend schwieriger, aktiv soziale Kontakte zu suchen, da diese als bedrohlich wahrgenommen werden. Betroffene nehmen soziale Situationen verzerrt wahr, deuten harmlose Bemerkungen als Kritik und fühlen sich schneller abgelehnt. Konflikte und Lieblosigkeit in sozialen Kontakten dominieren ihr Verhalten. Stattdessen flüchten viele in Ablenkungsstrategien wie Hochleistungssport, exzessives Engagement im Beruf, digitale Ersatzwelten wie soziale Medien, Smartphones und Online-Spiele – oft als Versuch, das Fehlen von Zuwendung zu kompensieren.
Dieser Teufelskreis aus Rückzug, Fehlinterpretationen und Ersatzstrategien verstärkt die Einsamkeit immer weiter und macht den Weg aus ihr heraus zunehmend schwerer.
Gibt es ein Rezept gegen die Einsamkeit?
Ein Patentrezept gegen Einsamkeit gibt es wohl nicht. Doch die Neurowissenschaftler John Cacioppo († 2018) und Stephanie Cacioppo haben jeweils Modelle entwickelt, die hilfreiche Ansätze bieten – diese möchte ich hier mit Ihnen teilen:
EASE-Modell nach John Cacioppo
Um der schmerzlichen Isolation zu entkommen, empfiehlt John Cacioppo vier Schritte, die er mit dem englischen Wort „ease“ (lindern) beschreibt:
E= Erweitern des Aktionsradius: Wer sich einsam fühlt, läuft Gefahr, sich allzu passiv zu verhalten. Deshalb ist es besonders wichtig, aus eigenem Antrieb immer wieder nach Begegnungen zu suchen – sei es nur ein Wortwechsel am Fahrkartenautomaten oder Smalltalk über das Wetter. Positiv erlebte Begegnungen stärken unser Selbstvertrauen.
A = Aktionsplan: Erst wer erlebt, dass das eigene Verhalten bisweilen eine freundliche Reaktion weckt, kann Mut fassen – und sich regelmäßig selbst in eine Gemeinschaft einbringen, etwa eine Theatergruppe, ein Sportteam oder einen Chor.
S = Selektieren: Entscheidend ist nicht die Quantität, sondern die Qualität von Beziehungen. Nicht Aussehen oder Sozialstatus sondern gemeinsame Werte und Interessen schaffen dauerhafte Bindungen. Es gilt demnach Kontakte bewusst zu wählen.
E = Erwartung des Besten: Freundliches, offenes Verhalten erhöht die Chance auf positive Resonanz. Dabei sollte man vom Gegenüber möglichst wenig erwarten - vor allem aber nur Gutes. Um langfristig erfüllende Beziehungen zu suchen und aufzubauen, braucht es Geduld. Reibungen und Rückschläge sollte man nicht überinterpretieren.
GRACE-Modell nach Stephanie Cacioppo
Stephanie Cacioppo zeigt mit ihrem Modell einen Weg, wie man sich achtsam und liebevoll um sich selbst kümmern kann, um Einsamkeit zu überwinden und das soziale Wohlbefinden zu stärken. Es basiert auf fünf zentralen Bereichen:
Dankbarkeit (Gratitude): Studien zeigen, dass Dankbarkeit das persönliche Wohlbefinden stärkt und Einsamkeitsgefühle erheblich reduziert. Führen Sie deshalb ein Dankbarkeitstagebuch und notieren Sie täglich fünf Dinge oder Menschen – einschließlich sich selbst! – für die Sie dankbar sind.
Wechselseitigkeit (Reciprocity): Einsame Menschen profitieren davon, gebraucht zu werden. Mikro-Momente, in denen man sich mit anderen verbindet, können Selbstwert und Zugehörigkeitsgefühl steigern. Ob es ein Familienmitglied ist oder die Verkäuferin im Lebensmittelgeschäft. Indem Sie Gelegenheiten schaffen, um nur ein klein wenig von sich selbst mit jemandem zu teilen, werden Sie dafür belohnt: Ihre Stimmung hellt sich auf und die innere Anspannung lässt nach. Diese wohltuenden Wirkungen können sich mit der Zeit sogar verstärken.
Uneigennützigkeit (Altruism): Gemeinnütziges Engagement für einen wohltätigen Zweck vermittelt Sinn und erweitert das Selbst, ähnlich wie eine Liebesbeziehung. Melden Sie sich freiwillig - in der Bücherei, im Sportverein oder etwa beim Roten Kreuz, was auch immer. Die Ergebnisse können beeindruckend sein!
Wahl (Choice): Einsamkeit kann durch eine bewusste Änderung der Perspektive beeinflusst werden. Einsam sein ist eine Entscheidung, auch wenn es sich nicht so anfühlt. Während dieselbe Situation für die eine Person angenehm ist, empfindet eine andere sie möglicherweise als Ausgrenzung. Entscheiden Sie sich, positive Aspekte wahrzunehmen, anstatt sich ausgeschlossen zu fühlen.
Vergnügen (Enjoyment): Das mag wie der denkbar offensichtlichste Rat klingen, aber versuchen Sie Ihr Bestes, um Spaß zu haben. Genießen Sie das Leben. Die Wissenschaft zeigt, dass Genuss ein Indikator des Wohlbefindens und der Lebenszufriedenheit ist. Zum Glück gibt es wahrscheinlich mehr positive als negative Ereignisse. Doch nicht jeder achtet darauf, sich an ihnen zu erfreuen. Gute Nachrichten und schöne Momente mit anderen zu teilen, trägt dazu bei, positive Gefühle zu verstärken und der Einsamkeit entgegenzuwirken.
Fazit
Linderung von Einsamkeit entsteht durch kleine Schritte, getragen von Beharrlichkeit, Geduld und der Zuversicht, dass Ihre Bemühungen früher oder später Wirkung zeigen.
DESHALB: Entscheiden Sie sich immer wieder bewusst, einen Aspekt der Modelle aufzugreifen. Täglich. Wöchentlich. Wie es Ihnen beliebt. Aber bleiben Sie dran. Scheitern gehört dazu – versuchen Sie es einfach erneut.
Wenn Sie sich auf diesem Weg Unterstützung wünschen, begleite ich Sie gerne!
Quellen:
Cacioppo John T. (2008). Einsamkeit. Woher sie kommt, was sie bewirkt, wie man ihr entrinnt.
Cacioppo Stephanie (2022). Warum wir lieben. Eine Neurowissenschaftlerin über Verliebtsein, Verlust und das, was uns verbindet.